Marc Fielmann: "Wir wollen massiv in den USA wachsen"

Quelle: DIE ZEIT

Marc Fielmann wagt mit seiner Optikerkette Investitionen in Trumps Amerika. Hier erklärt er, warum Zölle ihm keine Sorgen machen und weshalb der Aktienkurs besser sein könnte

Von Marc Widmann

Herr Fielmann, Sie haben für Ihr Unternehmen die Vision 2035 entwickelt und wollen noch deutlich schneller wachsen als zuletzt. Wie soll das klappen?
In Europa gibt es noch viel Potenzial. Und wir wollen auch massiv in den USA wachsen. Unser Umsatz dort soll langfristig zum Milliardengeschäft werden.

In diesem Jahr liegt er bei ungefähr 300 Millionen Dollar.
Wir werden auch die Hörakustik in unseren Niederlassungen europaweit ausbauen, sie wird sich mehr als verdoppeln. Und wir werden deutlich tiefer in die Gesundheitsversorgung einsteigen.

Wollen Sie Augenkliniken oder Arztpraxen kaufen, wie andere Investoren?
Nein, wir wollen das Gesundheitssystem effizienter machen, gemeinsam mit den Augenärzten. Es kann doch nicht sein, dass Leute ewig auf Termine warten oder gar erblinden, weil sie keine Vorsorgeuntersuchung machen! Das wollen wir ändern.

Was konkret ist das Problem?
Wir bieten seit zwei Jahren einen medizinischen Augen-Check-up in unseren Niederlassungen an. Die Nachfrage geht völlig durch die Decke, wir haben schon mehr als 200.000 davon gemacht. Aber wenn dabei herauskommt, dass die Menschen möglicherweise ein gesundheitliches Problem haben und zum Augenarzt gehen sollten, ist es oft sehr mühselig, einen Termin zu bekommen. Das kann so nicht bleiben.

Wie wollen Sie das ändern?
Wir bauen eine europaweite offene Plattform auf, über die Patienten mit Auffälligkeiten schnell einen Augenarzttermin buchen können. Und wenn es keine Praxis in der Nähe gibt, soll es eine Videoberatung geben

Was wäre der Unterschied zu bestehenden Terminbuchungs-Apps?
Dass zum Beispiel die Check-up-Daten gleich direkt an den Arzt übertragen werden. Wir wollen Augenoptik und -ärzte besser miteinander verbinden. Das kann auch dabei helfen, Kurzsichtigkeit bei Kindern früh zu erkennen und besser zu behandeln. Wenn Optiker und Ärzte gut zusammenarbeiten, lässt sie sich mit der richtigen Behandlung deutlich abmildern.

Viel Geld werden Sie mit so einer Plattform wohl nicht verdienen.
Ja, das wird erst mal keinen großen Umsatzanteil haben. Aber es ist das emotionalste, disruptivste und spannendste Thema für mich.

Das große Wachstum wollen Sie aber zum Beispiel mit den Hörgeräten erreichen? In Ihrem Geschäftsbericht schreiben Sie: In Europa brauchen 50 Millionen Menschen ein Hörsystem, haben aber noch keines.
Definitiv. Früher haben sich viele Menschen geschämt, große Klötze hinter den Ohren zu tragen. Heute sind die Systeme zwar kleiner, aber für viele immer noch eine Überwindung. Zum Glück nimmt die Stigmatisierung langsam ab. Da hilft auch, dass man jetzt überall Menschen mit kleinen Kopfhörern in den Ohren sieht.

Warum wollen viele Betroffene lieber schlecht hören als schlecht aussehen?
Mein Vater hat immer gesagt: Wenn Menschen ihre erste Gleitsichtbrille brauchen, dann hören sie den Wasserfall rauschen. Er meinte: Dann realisieren sie, dass sie älter werden und ihr Leben endlich ist. Im höheren Alter ein Hörsystem zu nutzen, erinnert sie noch stärker daran und wird deshalb gerne vermieden. Das ist fatal. Denn es ist wichtig, so eine Lösung früh zu nutzen, damit das Gehirn das Hören nicht verlernt.

Das passende Modell

Vor zwei Jahren sind Sie mit dem Kauf einer ersten Optikerkette in die USA gegangen. Warum sehen Sie dort eine Chance?
In den USA gibt es einen großen Kundenbedarf, der nicht befriedigt wird. Und ein sehr großes wirtschaftliches Potenzial – der amerikanische Markt ist 70 Milliarden Euro groß, verglichen mit sechs Milliarden in Deutschland. Dort erstatten viele Versicherungen alle zwei Jahre mehrere Hundert Dollar für eine neue Brille. Aber dafür haben die Kunden meist nur eine ganz schmale Auswahl. Und wenn sie etwas Besseres haben wollen, müssen sie gehörig draufzahlen. Wir schaffen jetzt eine große Auswahl an Brillen zum Nulltarif, das gibt es dort bisher nicht.

Also übertragen Sie einfach ihr deutsches Modell in die USA?
Nein, dann würden wir auf die Nase fallen. Das war der Fehler, den wir in Italien gemacht haben. Wir sind zu früh in den Markt gegangen, als wir unser Geschäftsmodell noch nicht angepasst hatten. Heute ist Italien operativ profitabel, aber dahin zu kommen, war viel Arbeit.

Was mussten Sie anpassen?
Wir wussten, dass die Italiener sehr modebewusst sind, also hatten wir die Kollektion angepasst. Aber nach Eröffnung der ersten Niederlassungen haben wir gemerkt: Wir müssen auch den Ladenbau verändern, die Italiener mögen kleinere Geschäfte. Dazu auch das Marketing, die Schulungen, selbst die Preispolitik. Da haben wir schmerzhaft gelernt: Wir können nicht einfach unser deutsches Modell kopieren.

Wenn Sie in den USA so schnell wachsen wollen, kaufen Sie dann weitere Optikerketten?
Wir planen eine Kombination aus organischem Wachstum und Zukäufen. Wir haben bereits zwei Ketten mit einer starken Position im Mittleren Westen übernommen und ein E-Commerce-Unternehmen für die gemeinsame digitale Plattform.

Wird Fielmann bald zur Weltmarke, oder behalten die amerikanischen Ketten ihre Namen?
Wir werden die verschiedenen Marken in den USA mittelfristig zu einer zusammenführen. Welche das ist, wird die Beliebtheit bei den Kunden entscheiden. Und wenn wir dann ein einheitliches Erscheinungsbild und eine Nulltarif-Auswahl haben, werden wir weiter expandieren.

Müssen Sie zusätzliche Brillenfabriken in den USA bauen, um bei Trumps hohen Zöllen trotzdem niedrige Preise anbieten können?
Wir produzieren schon heute alle Brillen und einen Großteil der Gläser in unseren eigenen Werken in Detroit und Green Bay. Deshalb sehen wir derzeit keine großen Auswirkungen der amerikanischen Zölle auf unser Geschäft.

In Europa sind Sie in den vergangenen Jahren nach Italien, Spanien und Slowenien gegangen. Haben Sie weitere Länder im Blick?
Langfristig definitiv, aber in den nächsten fünf Jahren ist das nicht unser Fokus. Wir wollen jetzt erst mal in den Ländern wachsen, in denen wir schon sind, damit haben wir genug zu tun. In Spanien haben wir 140 Niederlassungen, aber Potenzial für Hunderte. Dort werden wir in zwei Jahren Marktführer sein.

Trotz des großen Wachstums ist der Aktienkurs von Fielmann niedriger als vor wenigen Jahren. Trauen die Investoren Ihren Plänen nicht?
Im Aktienkurs stecken noch Zweifel, dass wir unsere Ziele wirklich erreichen. Deshalb müssen wir dieses Jahr die angekündigten Ergebnisse auch abliefern. Wir denken als Familienunternehmen langfristig, das versteht der Kapitalmarkt nicht immer sofort. Aber wir werden das weiter tun. Und in Zukunft noch klarer kommunizieren, wann wir in einer Phase des Wachstums sind – und wann in einer Phase der Effizienz, wo es dann gezielt darum geht, profitabler zu werden.

In Ihrer vorherigen Strategie aus dem Jahr 2019 hatten Sie angekündigt, den Online-Brillenhandel zu "revolutionieren". Davon sprechen Sie jetzt nicht mehr.
Wir haben das Potenzial des Online-Brillenverkaufs leicht überschätzt. Die Zukunft liegt im Omnichannel-Geschäftsmodell, also in der guten Verbindung von Niederlassungen und digitalen Angeboten. Deshalb investieren wir nach wie vor einen dreistelligen Millionenbetrag jährlich in die Digitalisierung. Millionen Menschen nutzen unsere digitale Fassungsberatung und schauen, welche Form und Farbe zu ihnen passt, dabei hilft künstliche Intelligenz. Sie können auch ein Foto von einer Celebrity hochladen, die eine Brille trägt. Dann sagt eine KI in wenigen Sekunden, ob wir die Brille haben, oder schlägt ähnliche Modelle vor. So sparen wir Zeit bei der Beratung. Für uns ist jede Minute wertvoll.

Branchen-Rivalen und Smart Glasses

Sie haben in der Vergangenheit beklagt, dass Sie in Ihren Filialen gar nicht alle Kunden bedienen können. Ist das immer noch so?
Ja. Es gibt einen großen Fachkräftemangel bei Augenoptikern und Hörakustikern. Wir haben aktuell mehr als 500 offene Stellen in den Niederlassungen und suchen 700 Auszubildende. Obwohl wir massiv ausbilden, kommen wir bei der Kundennachfrage nicht hinterher. Deshalb müssen wir effizienter und schneller werden.

Als gefährlichste Rivalen sehen Sie branchenfremde Firmen wie Amazon. Jetzt verkauft Amazon auch Brillen. Wie nervös sind Sie?
Ich habe von Amazon bisher nichts gesehen, wo ich gesagt habe: Tolle Idee, Mensch, so muss man das machen! Ich bin fast ein bisschen enttäuscht über die fehlenden Innovationen. Die haben auch keine Niederlassungen, keine Augenoptiker, keine eigene Messtechnologie und spielen nur im kleinen Segment des reinen Online-Brillenkaufs. In dem wachsen wir auch selbst deutlich. Da haben wir keine Amazon-Delle gesehen.

Tragen wir bald alle Brillen, die mit dem Internet verbunden sind?
Solche Smart Glasses sind gerade ein großer Hype, und ich bin gespannt, ob sie sich als Smartphone-Ersatz etablieren. Meta hat im vergangenen Jahr weltweit zum ersten Mal über eine Million davon verkauft. Wir haben auch Smart Glasses im Angebot und sehen, dass die Kundennachfrage durchaus da ist. Sie haben einzelne Funktionen, die ganz spannend sind.

Zum Beispiel?
Man kann damit Musik hören oder Fotos und Videos machen, ohne dass man das Smartphone aus der Tasche ziehen muss. Aber es ist noch zu früh zu sagen, ob sie wirklich in unserem Alltag Einzug halten und Menschen sie den ganzen Tag tragen werden. Dann würden Entwickler auch coole Apps dafür entwickeln. Ich erwarte nur nicht, dass sich das zuerst in Deutschland durchsetzt – dazu gibt es bei uns zu viele Sorgen um den Datenschutz.

Sie sind Chef und Mehrheitseigentümer. Bekommen Sie noch ehrliche Kritik?
Oh, ich kriege klares Feedback!

Welches denn zum Beispiel?
Ich bin regelmäßig in unseren Niederlassungen unterwegs, um mit Kunden und Mitarbeitenden zu sprechen. Gerade war ich in der Schweiz und in Spanien. Da wurde mir klar gesagt, dass wir unsere Verfügbarkeit von Fassungen schnell verbessern müssen und bei unseren vielen digitalen Innovationen etwas geordneter vorgehen sollten. Die Gefahr, dass ich abhebe, war vor fünf Jahren größer. Als wir noch patriarchalere Strukturen hatten und keiner sich getraut hat, den Chef zu kritisieren.

Wie haben Sie das geändert?
Ich hatte ja gar keine andere Wahl! Die vergangenen Jahre waren sehr anstrengend – wegen der Komplexität, die ich selbst angerichtet habe, weil wir Kunden auf einmal nicht mehr nur stationär bedient haben, sondern auch digital und in viel mehr Ländern. Das war wahnsinnig viel Arbeit. Meine einzige Chance, das hinzukriegen, war, eine Organisation zu schaffen, die zusammenarbeitet und Entscheidungen delegiert, damit nicht alles an mir hängt. Das war meine Überlebensstrategie.

© Alle Rechte vorbehalten. DIE ZEIT. Interview: Marc Widmann. Foto: Julia Sang Nguyen

Pressekontakt

Ihre Ansprechpartner

Katrin Carstens

Leiterin Kommunikation & Public Relations
E-Mail: presse@fielmann.com

Nils Scharwächter

E-Mail: investorrelations@fielmann.com