Herr Fielmann, vor Kurzem hat Ihr Vater angekündigt, sich weiter aus dem Unternehmen zurückzuziehen. Damit tragen Sie immer mehr Verantwortung. War das immer schon Ihr Ziel?
Die Möglichkeit bestand seit meiner Kindheit. Ich bin in unserem Unternehmen aufgewachsen. Früher hing neben dem Schreibtisch meines Vaters eine Landkarte. Dort durfte ich schon mit fünf Jahren in die Orte eine Nadel stecken, in denen wir gerade eine Niederlassung eröffneten. Wenn sie so wollen, bin ich also schon seit 25 Jahren dabei.
Und als Junge wollten Sie irgendwann den Job Ihres Vaters übernehmen?
Der Gedanke war da, aber es war kein konkretes Ziel. Damit auseinandergesetzt habe ich mich erst viele Jahre später.
Sie wollten nie Feuerwehrmann oder Rockstar werden?
Zwischendurch kamen sicher mal solche Gedanken, aber ich hatte reichlich Gelegenheit, mich auszuprobieren, und weiß: Für mich ist Fielmann ein Glücksfall.
Weil?
Weil wir als Augenoptiker Gutes tun. Wir helfen den Kunden, wieder klar zu sehen. Wir haben für jeden eine Lösung. Bei uns muss ich niemanden rausschicken, weil er vielleicht nicht so viel Geld hat. Zudem hat Fielmann unglaublich viele Entwicklungschancen, ist schuldenfrei, wirtschaftet grundsolide. Damit kann ich mich identifizieren.
Fast jeder Deutsche kennt Fielmann. Wie ist das, gerade für einen Jugendlichen, der „Herr Fielmann“ zu sein?
Als Teenager war das nicht so gut, man will ja als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen werden. Deshalb war es toll, in London zu studieren. Dort bin ich ein Nobody.
Und heute?
Die Haltung zu unserem Familiennamen hat sich geändert, als ich angefangen habe, das Unternehmen mitzugestalten. Da habe ich angefangen, den Namen als etwas Positives zu verstehen.
Hat Sie die Verantwortung nie belastet?
Doch, klar. Zum ersten Mal spürbar war das, als ich nach dem Studium mit 21 Jahren in einer unserer Niederlassungen gearbeitet habe. Die Mitarbeiter dort waren sehr nervös. Ich war wahrscheinlich noch nervöser. Alle erwarteten, dass ich fachlich alles richtig mache, dass ich den Kunden richtig berate. Alle Augen waren auf mich gerichtet.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe immer gesagt: „Sie mögen nervös sein, aber überlegen Sie mal, wie nervös ich bin. Bitte helfen Sie mir ein bisschen. Ich verspreche, ich helfe Ihnen dann auch.“ Das hat die Situation entspannt.
„Bei uns muss ich niemanden rausschicken, nur weil er nicht so viel Geld hat“
Ist auch mal etwas schiefgegangen?
Oh ja. Ich wollte mal einer Kundin die Bügel ihrer Acetatbrille anpassen, fing an, sie zu richten. Knack. Kaputt. Ich habe mich wirklich schlecht gefühlt. So habe ich gelernt, dass man ältere Acetatbrillen besonders erhitzen muss, wenn man sie anpassen will. Die Kundin hat natürlich eine neue Brille bekommen.
Der Übergang von Ihrem Vater auf Sie scheint reibungslos zu funktionieren. Viele andere Unternehmer scheitern daran. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Mein Vater hat mir nie reingeredet oder vorgegeben, wie ich die Dinge angehen soll. Er hat Hinweise gegeben, was ich mal ausprobieren könnte. Das hat unserer Beziehung gut getan. Ich würde sagen, er hat lange Leine gelassen und korrigierend eingegriffen, wenn es nötig war.
Also: Lasst die Jungen mal machen?
Sinnvoll war sicher auch, dass mein Vater den Übergang lange geplant hat. Wir arbeiten schon seit sieben Jahren zusammen im Unternehmen. Vorteilhaft ist vielleicht auch, dass der Altersunterschied mit 50 Jahren relativ groß ist. Womöglich hat es das entspannter gemacht. Ich habe jedenfalls zu meinem Vater einen engen Draht. Das hilft beim Austausch mit dem Mehrheitsaktionär.
Sonst adoptiert er noch einen familienfremden Manager, um ihn an die Spitze zu setzen, wie der Kaffee-Unternehmer Darboven es vorhatte ...
(lächelt) Mein Vater hat 150 Millionen Brillen verantwortet, von denen er sehr viele selbst entwickelt, entworfen und geprüft hat. Ich wäre dumm, ihn nicht einzubeziehen und sein Wissen zu nutzen. Das müsste ich ja nicht, aber ich tue es oft und gerne: Ich fahre regelmäßig zu ihm nach Lütjensee. Dann sprechen wir.
Ihre Familie wird womöglich irgendwann noch wachsen, die Firma mehrere Gesellschafter haben. Wie wollen Sie verhindern, dass das Unternehmen mal wegen Streitigkeiten zerbricht?
Mein Vater hat eine Familienstiftung errichtet, die sicherstellt, dass die Mehrheit am Unternehmen immer in der Familie bleibt. Gestalten müssen wir noch, unter welchen Bedingungen Familienmitglieder aktiv ins Unternehmen eintreten. Es wäre nicht sinnvoll, wenn Fielmann mal von jemandem geführt würde, der es nicht gut macht, nur weil er aus der Familie kommt.
Sie könnten festlegen, dass das Unternehmen prinzipiell nur von externen Managern geführt wird. Wir sind der Meinung, dass das Unternehmen am besten im Familienverbund aufgehoben ist, die Bedingungen des Eintritts eines Familienmitglieds aber geregelt werden sollten.
Wir sind der Meinung, dass das Unternehmen am besten im Familienverbund aufgehoben ist, die Bedingungen des Eintritts eines Familienmitglieds aber geregelt werden sollten.
Hat Ihr Vater Ihnen einige Grundsätze mitgegeben, an die Sie sich immer halten sollten?
Ja klar. Einer lautet: „Nimm weniger, dann kriegst du mehr.“ Unsere Brillen sollen so günstig sein, dass sie sich alle leisten können. Wir würden nie den Fehler machen, Kundengruppen, etwa mit weniger Geld, nicht zu bedienen. Der Gewinn pro Brille ist dann vielleicht geringer, aber über die Masse holt man das wieder rein.
Im vergangenen Jahr sind Umsatz und Gewinn nur minimal gestiegen. Machen die externen Aktionäre keinen Druck?
Fielmann wird weiter expandieren. Mit den Plänen, die wir im Sommer vorstellen, streben wir ein ambitioniertes Wachstum an. Wir treiben die Expansion in Italien und Polen voran, schauen uns in dem einen oder anderen europäischen Markt gerade auch intensiv andere Ketten an. Spruchreif ist das aber noch nicht. Fielmann könnte jederzeit größere Übernahmen stemmen, ohne dafür Kredite aufzunehmen. Aber sicherlich bleiben wir bei unserer Philosophie, risikoreiche Investitionen zu vermeiden.
Nervt es dabei nicht manchmal, dass Sie sich vor familienfremden Investoren und Analysten rechtfertigen müssen?
Der Kapitalmarkt ist gut und richtig für uns. Er hat disziplinierende Wirkung. Wir können gar nicht erst in die Versuchung geraten, Margen und Renditen aus dem Blick zu verlieren.
Aber dem Kapitalmarkt müssen Sie Wachstumsfantasien bieten. Geht das hierzulande überhaupt noch?
Im deutschsprachigen Raum ist noch viel möglich. Die häufigste Kritik unserer Kunden lautet, dass die Wartezeiten zu lang sind. Wenn wir Kunden verlieren, liegt das hauptsächlich daran. Wir arbeiten an einem Geschäftsmodell, mit dem wir alle Kunden versorgen können, die da sind. Das Potenzial ist signifikant.
Der stationäre Handel wird doch gerade vom Internet verdrängt. Die Verbraucher haben keine Lust mehr auf Filialen.
Der reine Onlinehandel ist in unserer Branche eher ein Auslaufmodell. Nur zwei Prozent des Umsatzes mit Brillen werden über den Versandhandel gemacht, inklusive Kontaktlinsen sind es etwa fünf Prozent. Kontaktlinsenkunden bedient Fielmann heute bereits mit einem Omnichannel-Geschäftsmodell und wächst damit deutlich schneller als der Wettbewerb. Jetzt arbeiten wir intensiv am Onlinebrillenkauf in Fielmann Qualität.
Qualitativ ist eine online bestellte, individuelle Brille also aktuell noch nicht so gut wie die aus der Filiale?
Beim aktuellen Stand ist sie ein Zufallsprodukt. Wir benötigen marktreife Technologien in drei Bereichen: eine verlässliche 3-D-Anprobe, eine millimetergenaue 3-D-Anpassung und einen Onlinesehtest. Die Fielmann Ventures entwickelt gerade diese Schlüsseltechnologien, teilweise zusammen mit Technologiefirmen und innovativen Start-ups.
In ein paar Jahren brauchen wir den Optiker vor Ort also nicht mehr?
Sobald die Technologie marktreif ist, können wir Brillen über die Distanz in Fielmann-Qualität anbieten. Dennoch werden viele Kunden in die Niederlassung kommen. Ich kann mir vorstellen, dass sie online eine Brille aussuchen und sie in der Filiale anpassen. Die Zukunft liegt in der Verbindung aus persönlicher Beratung und digitalen Services.
Quelle: WirtschaftsWoche ©Handelsblatt Media Group GmbH &Co.KG. Alle Rechte vorbehalten. Text: Melanie Bergermann, Volker Ter Haseborg, Fotos: © Paula Markert