Es war ein eher beiläufiger Satz von Marc Fielmann während der Bilanzpressekonferenz. „Nicht zuletzt durch eine Expansion nach Frankreich peilen wir mittelfristig einen Umsatz von 200 Millionen Euro in Westeuropa an.“ Überraschend kommt der Wille Marc Fielmanns nicht, im Nachbarland Fuß zu fassen. Schon seit Vater hatte 2003 erste Gespräche, damals mit GrandVison geführt, anschließend aber war es länger ruhig geworden rund um den westlichen Nachbarn. Jetzt aber scheint wieder Fahrt in das Szenario zu kommen: Mit Italien (2015) und Spanien (2020) gehören schon zwei wichtige Märkte im Westen Europas zum Handlungsfeld der Fielmann-Gruppe, daher war und ist es letztlich nur eine Frage der Zeit, ehe Frankreich als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Europäischen Union (hinter Deutschland) angegangen wird. Ob der westliche Nachbar schon in diesem Jahr die Fielmann- Landkarte ergänzen wird, bleibt jedoch offen. „Wir werden in diesem Jahr voraussichtlich einen weiteren Markt erschließen“, sagte der Vorstandsvorsitzende, ohne dabei konkreter zu werden. Spätestens bis 2025 aber muss Frankreich in Angriff genommen werden, will man die selbst gesetzten ehrgeizigen Ziel in Hamburg erreichen – soviel scheint sicher.
Eng verbunden ist dieser Wunsch mit der sogenannten „Vision 2025“ – ein Claim, der nun schon seit geraumer Zeit über dem größten deutschen Filialisten schwebt. Ein Claim, der jährlich aufs Neue mit Leben gefüllt wird und den man nicht müde wird, zu jeder Gelegenheit öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Und so nahm die Vision 2025 auch bei der diesjährigen Bilanzpressekonferenz wieder eine zentrale Rolle ein. Erneut verzichtete man in Hamburg darauf, die (Fach-) Medien persönlich einzuladen und wich einmal mehr auf das in den vergangenen beiden Jahren gelernte Online- Format aus. Ganz passend, ist der digitale Bereich doch einer, den man bei Fielmann in den vergangenen Jahren gezielt befeuert hat und in den kommenden auch immer weiter befeuern wird. Im Gegensatz zu Mister Spex, brillen.de oder Brille24, die von reinen Onlinern zu Ominchannel-Anbietern erwachsen sind (siehe dazu auch DOZ 05/22), geht man bei Fielmann den umgekehrten Weg. Der Grundstein mit dem breit gefächerten stationären Netz wurde schon vor vielen Jahren gelegt und seither kontinuierlich ausgebaut, modernisiert und perfektioniert. Eine Basis, die nun zum Aufbau des Omnichannel-Modells dient. Wobei Aufbau eigentlich wenig korrekt ist, denn aufgebaut ist es bereits, erweitert und perfektioniert wird es indes stetig.
Online-Refraktion „komplexer als vorgestellt“
913 Filialen zählte Fielmann europaweit mit Stichtag 31. Dezember 2021, 27 Millionen Kunden in 16 Ländern. Und all diese Länder (und die, die in Zukunft noch dazukommen werden) sollen bis spätestens Ende 2023 an das Omnichannel-Modell von Fielmann angeschlossen werden. Den großen Rollout in Deutschland startete Fielmann im April des vergangenen Jahres (siehe dazu auch DOZ 06/21). Damals ging die von der Fielmann Ventures konzipierte IOS-App an den Start, die zwei Schlüsseltechnologien vereint: Die 3D- Anprobe („Fielmann Fit“) und die unternehmenseigene Brillenglas- Zentrierungstechnologie („Fielmann Focus“). „Über unsere App können immer mehr Kunden ihre Brille virtuell anprobieren, sie individuell anpassen und kostenlos nach Hause liefern lassen. Die App entwickeln wir kontinuierlich weiter, um die refraktions-und optometrischen Zentrierdaten zu verbessern, die für die Fertigung einer Korrektionsbrille erforderlich sind“, sagte Marc Fielmann. Eigentlich hätte auch der Online- Sehtest schon in die App integriert werden sollen, doch sei das Thema Messtechnologie komplex und „wenn man ganz ehrlich ist auch komplexer, als wir uns das ursprünglich vorgestellt haben“.
Allzu weit aber scheint der Weg nicht mehr zu sein bis zum Launch der Online-Refraktion unter dem Namen „Fielmann Vision“: Aktuell befindet sich die Technologie im erweiterten Nutzertest und das ausgegebene Ziel, allen Kunden, auch den neuen, online eine Brille in gleicher Fielmann-Qualität wie im stationären Geschäft bieten zu können, rückt näher. Mehr als 15 Millionen Euro haben die Hamburger bislang in die Entwicklung und Forschung investiert, 25 Patente direkt oder indirekt angemeldet. Und auf das neueste Baby, das Fielmann zusammen mit dem Augmented- Reality-Spezialisten FittingBox S.A. – an dem man seit 2018 einen Anteil von rund 20 Prozent hält – ist man besonders stolz: Unter dem Namen „Frame Removal“ können Kundinnen und Kunden ihre Brille jetzt online anprobieren, ohne dabei ihre alte Brille abzusetzen. „Besonders für stark Fehlsichtige, die rund 20 Prozent unserer Kunden ausmachen, ist diese Funktion interessant, da sie sonst bei der Anprobe meist nur wenig erkennen können“, erklärt Fielmann. Noch in diesem Jahr will man die eingeführten Messtechnologien auch über den Onlineshop zur Verfügung stellen, um weitere digitale Vertriebskanäle für den Online-Brillenkauf zu öffnen.
Doch selbst wenn es Fielmann gelingen sollte, alle notwendigen Technologien online in entsprechender Qualität zu bieten, drückt man dennoch bewusst auf die Bremse – zumindest, wenn es um den erwarteten Online-Umsatz mit Korrektionsbrillen geht. Aktuell weist der Branchenbericht des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) den Versandanteil von Korrektionsbrillen mit rund einem Prozent aus, Sonnenbrillen liegen bei zwölf Prozent, Kontaktlinsen haben im vergangenen Jahr mit 45 Prozent gar einen neuen Rekordwert erreicht. Und so rechnet Fielmann selbst im besten Fall aufgrund der Komplexität der optometrischen Messungen langfristig mit einem Versandanteil von lediglich zehn Prozent bei den Korrektionsbrillen. Nimmt man Kontaktlinsen und Sonnenbrillen in dieser Rechnung dazu, plant man mit einem E-Commerce-Umsatz von rund 400 Millionen Euro, was rund 15 Prozent vom Gesamtumsatz der Fielmann-Gruppe ausmachen würde.
Mehr als eine Million Pakete in 2021
Die digitale Transformation beim Branchenriesen nimmt also immer genauere Züge an. Belegt wird dies auch durch den immer größer werdenden Anteil an Paketen, die von Fielmann aus direkt zu den Kundinnen gehen. Waren es 2016 lediglich 106.000 Pakete, verzehnfachte sich die Zahl im vergangenen Jahr auf über eine Million (in erster Linie angetrieben durch den Versand von Kontaktlinsen und Sonnenbrillen). Langfristig rechnet man mit einem Anstieg auf fünf Millionen Pakete, was noch mal eine Verfünffachung des aktuellen Versandaufkommens bedeuten würde. Und auch die Zahl der Omnichannel-Nutzer wird von derzeit 22 Millionen weiter steigen. Wesentlicher Treiber waren bislang die Online-Terminvereinbarung (11 Millionen), aber auch die Suche nach Produkten, der Preisvergleich oder die Nachverfolgung des Auftragsstatus haben einen nicht unwesentlichen Anteil. „Der Ausbau der Omnichannel-Services ist entscheidend für die Zufriedenheit unserer Kunden. Aufgrund unserer internen Marktforschung wissen wir, dass sich 70 Prozent unserer Kunden ebendiesen Service wünschen während ihres Brillenkaufs“, bekräftigt der Vorstandsvorsitzende. Um diesem Wunsch nachzukommen, wird die Plattform nach und nach auf das gesamte Fielmann-Gebiet ausgeweitet. In Österreich sollen Sonnenbrillen im zweiten Quartal dieses Jahres auch online verfügbar sein, das gesamte Portfolio in Quartal vier zur Verfügung stehen. In Italien sollen im dritten Quartal Sonnenbrillen und Kontaktlinsen online zu beziehen sein – Produktgruppen, die in Spanien (Optica & Audio logia Universitaria), Polen und Tschechien bereits verfügbar sind.
Ohnehin sollen die internationalen Märkte zum wesentlichen Wachstum von Fielmann beitragen – und tun dies bereits jetzt. So stieg der Nettoumsatz von 197 Millionen Euro (2020) auf 455 Millionen Euro (plus 53 Prozent), insgesamt kamen 45 neue Niederlassungen hinzu. Der Auslandsanteil im Umsatz stieg von 21 auf 27 Prozent und soll in den kommenden Jahren weiter überproportional wachsen. In Slowenien ist Fielmann seit der Übernahme von Optika Clarus über Nacht zum Marktführer geworden, in Polen der zweitgrößte Filialist und in Italien der drittgrößte. Durch die Übernahme von Optica & Audiologia Universitaria schob sich Fielmann auch in Spanien sofort von Null auf Drei. „Wir treiben die Expansion dennoch mit Augenmaß voran. Wir wählen nicht nur wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen, sondern vor allem Partner, die in ihren Werten, ihrer Kundenorientierung und ihrer Preiswürdigkeit zu Fielmann passen“, bekräftigt Marc Fielmann. Entsprechend wird es spannend, welche potenziellen Unternehmen in Frankreich für Fielmann von Interesse sein könnten. Die Omnichannel-Plattform dürfte dabei sicherlich ein großes Pfund sein, überdies auch Synergien bieten, beispielsweise durch die Bündelung von Einkaufskonditionen.
Ukraine-Krieg trifft auch Fielmann direkt
Ein Markt, in dem Fielmann bereits seit 1999 aktiv ist, der jedoch nicht zu den großen Wachstums- oder Expansionsmärkten gehört, ist die Ukraine. Mit einem Umsatz von vier Millionen Euro und einem Ergebnis von 0,5 Millionen Euro sind die 36 Filialen sowie der Onlineshop im vergangenen Jahr in die Bilanz eingegangen. Mit Kriegsausbruch kam auch das Geschäft von Fielmann Ende Februar abrupt zum Erliegen. „Zu Beginn des Krieges lag unser Fokus auf dem Schutz und dem Wohlergehen unserer 269 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daher haben wir umgehend alle Geschäfte geschlossen“, erzählt Fielmann. Die gute Nachricht: Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz waren alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unversehrt, auch bei den Gebäuden gab es keine erheblichen Schäden. Das Unternehmen bot allen Beschäftigten einen Arbeitsplatz im Ausland an, inklusive Sprachkurs und Unterstützung bei der Integration. „28 Mitarbeiter haben dieses Angebot auch angenommen, 24 befinden sich in Sprachkursen, 13 arbeiten bereits jetzt in Niederlassungen oder den Zentralbereichen außerhalb der Ukraine.“ Zwölf seien nach Deutschland geflüchtet, fünf davon arbeiten bereits, die verbleibenden sind entweder in Sprachkursen oder fühlen sich derzeit nicht in der Lage, ihrem Beruf nachzugehen.
Alle Mitarbeiter der ukrainischen Filialen bekämen trotz der massiv eingebrochenen Umsätze ihre Gehälter weiter, wodurch, einschließlich Familienmitgliedern, fast 1.000 Menschen zumindest finanzielle Sicherheit gegeben werden könne. Rund 100.000 Euro müsse Fielmann so pro Monat aufwenden, zusätzlich wurde ein interner Hilfsfond aktiviert, über den man ukrainischen Kollegen, die beispielsweise Schäden erlitten hätten, schnell und unbürokratisch helfen könne. Und wie sieht es mit der Versorgung der ukrainischen Kunden vor Ort aus? Dort, wo es die Kriegssituation zulasse, werde zumindest ein Notdienst mit reduzierten Öffnungszeiten für die Bevölkerung angeboten. „Wir sind beeindruckt vom Engagement unserer Mitarbeiter in dieser unvorstellbaren Zeit“, sagt Fielmann und ergänzt: „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ganze Straßenzüge zerstört sind, viele Menschen sich auf die Flucht begeben haben.“ Entsprechend müsse langfristig gedacht werden, soll in der Ukraine wieder wirtschaftlicher Erfolg möglich sein. So werde sich das Unternehmen am Wiederaufbau beteiligen, sei es durch Sachspenden, Geldmittel oder Baumpflanzungen.
Schwierige Prognose für 2022: Drei Szenarien vorstellbar
Der Ukraine-Konflikt, aber auch die Corona-Pandemie würden die Prognosen für das aktuelle Geschäftsjahr diffizil gestalten. So verweist Fielmann auf die aktuellen Zahlen der GfK, die die Verbraucherstimmung auf dem niedrigsten Niveau seit 1991 sieht. „Bislang aber konnten wir trotz der äußeren Umstände eine Kostensteigerung vermeiden, lediglich in den Bereichen Energie und Transportkosten beobachten wir eine signifikante Preissteigerung, die aber im Gesamtkostenmix eine nicht so große Rolle spielt“, erläutert Fielmann. Entsprechend seien Preisanpassungen nach oben bislang nicht notwendig gewesen. Im Gegenteil, in einigen Produktgruppen habe man die Preise sogar gesenkt, um die Preisführerschaft zu sichern. Entsprechend stellt man gleich drei Prognosen für das aktuelle Geschäftsjahr auf: Szenario 1 (optimistisch): Bei einem Umsatzanstieg von rund zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 1,85 Milliarden Euro und einem Brillenabsatz um 9,2 Millionen rechnet Fielmann mit einer Erhöhung der Marge vor Steuern (EBT) um 13 Prozent. Szenario 2 (konservativ): Bei einem Umsatzanstieg von rund sieben Prozent auf etwa 1,8 Milliarden Euro und einem Brillenabsatz von 8,9 Millionen wird die EBT-Marge bei um 12 Prozent liegen. Szenario 3 (pessimistisch): Bei einem Umsatzanstieg von rund vier Prozent auf 1,75 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr wird ein Absatz von 8,6 Millionen Brillen geschätzt und eine EBT-Marge um zehn Prozent erzielt.
Und so würden die geplanten Investitionen für dieses Geschäftsjahr regelmäßig auf die Probe gestellt, fallweise neu priorisiert und gegebenenfalls vorgezogen, verschoben oder gestrichen. Aktuell plant Fielmann für 2022 mehr als 95 Millionen Euro aus Eigenmitteln in Ausbau, Modernisierung und Erhalt des Niederlassungsnetzes sowie in Produktion und Infrastruktur zu investieren. Über alle Märkte hinweg sollen mehr als 40 neue Niederlassungen eröffnet oder übernommen werden. Für weitere mehr als 40 bestehende Niederlassungen plant Fielmann Umbauten oder Vergrößerungen. In Deutschland sind Investitionen in Höhe von rund 64 Millionen Euro geplant, in der Schweiz und Italien jeweils um etwa sieben Millionen Euro, in Österreich rund sechs Millionen Euro und in Polen um drei Millionen Euro. Vom Gesamtvolumen sollen 62 Millionen Euro auf die Renovierung bestehender Geschäfte und Neueröffnungen entfallen, elf Millionen Euro auf die Ausweitung der Produktionskapazitäten und weitere 23 Millionen Euro auf Konzerninfrastruktur und Vertriebswege.
Fernab aller Szenarien wird 2022 für Fielmann in einem Punkt definitiv historisch: So wird das Unternehmen am 21. September das 50-jährige Jubiläum begehen und dies „gebührend feiern“.
Quelle: Deutsche Optiker Zeitung © DOZ-Verlag, Text: David Friederichs