Deutschland ist eines der unmodischsten Länder in Europa

Marc Fielmann hat mit 30 die Firma seines Vaters übernommen. Welchen Konflikt er mit ihm hatte – und wie die Brille ihr Image als unvorteilhafte Prothese für Streber verlor.

Quelle: Der Tagesspiegel

Von Felix Kiefer

Herr Fielmann, Sie sind Chef des größten Augenoptikers in Europa, wie lange tragen Sie eigentlich schon Brille?
Seit dem Studium, mit Anfang 20.

Wurden Sie deswegen jemals gehänselt?
Ich kann mich nicht daran erinnern. Vielleicht ist das in meiner Generation auch kein Thema mehr.

Brillen galten jahrelang als uncool. In Filmen trugen sie häufig Streber oder Mauerblümchen. Clark Kent setzte sich eine auf, um seine Identität als Superman zu verbergen. Können Sie erklären, warum?
Früher war die Situation in Deutschland folgende: Wenn man es sich nicht leisten konnte, draufzuzahlen, trug man eine Kassenbrille und die sahen damals nicht unbedingt vorteilhaft aus. Dazu hat man damit jedem gezeigt: Ohne Brille kann ich nicht sehen. Das war quasi eine doppelte Stigmatisierung. Diese abzuschaffen, war die historische Leistung unseres Unternehmens und meines Vaters. 1981 hat er über Nacht aus sechs zeitlos hässlichen hunderte schöne Modelle gemacht. Das hat alles verändert.

Heute ist es genau andersherum. Menschen setzen sich sogar freiwillig Brillen mit Fensterglas auf die Nase.
Die Zahl der Brillenträger in der Bevölkerung ist massiv gestiegen – übrigens auch, weil wir so viel Zeit am Handy verbringen. Weil es heute schon Brillen für kleines Geld gibt, kann sich jeder eine Brille leisten und dabei aus einer riesigen Menge an Modellen, Materialien oder Gläsern auswählen. Dazu hat sich unsere Gesellschaft auch in diesem Bereich gewandelt: Ob Schauspieler, Model oder Profisportler – überall sehen Sie Ihre Vorbilder mit Brille. Brillenträger schneiden laut Studien auch in Bewerbungsgesprächen besser ab. Die Brille wurde von einer Prothese zu einem modischen Accessoire.

Daniel Brühl ist Markenbotschafter ihres Konkurrenten „IC! Berlin“. Auch bei Brad Pitt oder Madonna sind deren Brillen geliebt. Welcher Promi trägt Fielmann?
Ich würde mal sagen, 55 Prozent aller Prominenten in Deutschland. Den Ersten Bürgermeister von Hamburg habe ich zuletzt bei einer Baumpflanzaktion getroffen. Der trug zum Beispiel eine schöne Brille von Fielmann. Unsere Kundschaft ist ein Querschnitt durch die gesamte Gesellschaft: Frauen wie Männer, Angestellte wie Manager, Rentner wie Studierende oder Azubis. Wir haben einen etwas höheren Anteil an preissensiblen Kunden. Es kommen aber auch viele Menschen mit höherem Einkommen zu uns.

Und wie erreichen Sie die jungen Menschen? Auf Tiktok folgen Ihnen gerade einmal 500 Personen.
Tiktok bespielen wir erst seit kurzem, auf Instagram folgen uns schon deutlich mehr. Das ist aber nicht entscheidend. Vier von fünf jüngeren Menschen kaufen bei uns, weil uns ihre Verwandten, Bekannten oder Freunde empfohlen haben. Unsere Werbung soll alle Menschen ansprechen, nicht nur einzelne Gruppen, deswegen werben wir auch nicht mit bestimmten Schauspielern oder Prominenten.

Welche Art Brille liegt aktuell besonders im Trend?
Es war lange so, dass Kunststoffbrillen auf dem Vormarsch waren. Das hat sich in den letzten Jahren etwas geändert: Gerade sind vor allem Metallbrillen mit großen Gläsern sehr gefragt. Bei Frauen vor allem in Roségold, bei Männern in Silber. Bei Kunststoffbrillen geht der Trend weg von breiten zu feineren, dünneren Bügeln.

Warum genau solche?
Die Designs von heute sind fast immer Interpretationen der Vergangenheit. Bei Brillen ist die Kunst, die richtige Mischung zwischen Ästhetik und Funktionalität zu finden. Wie in der Mode prägen Schauspieler, Models oder Künstlerinnen auch bei Brillen maßgeblich Trends. Aber egal wie gut eine Brille aussieht und wer sie trägt: Wenn sie die ganze Zeit auf der Nase drückt, wird sie niemand kaufen oder man wird sie zurückgeben.

Kaufen die Deutschen eher modisch oder funktional?
Deutschland ist eines der unmodischsten Länder in Europa. Die Deutschen sind sehr preisbewusst, kaufen funktional und qualitätsorientiert: Sie sind bereit in ihre Brillen zu investieren, wollen dafür aber Leistung haben. Während der durchschnittliche Deutsche viel mehr Geld für seine Gläser ausgibt als für die Fassung, ist es in Italien genau umgekehrt: Dort geht es mehr um die Erscheinung als um hochwertige Gläser.

Warum legen wir so wenig Wert auf Ästhetik?
Modische Aspekte spielen hier einfach insgesamt eine nachgelagerte Rolle. Wir tragen Brillen, um gut zu sehen. Wir tragen Kleidung, damit wir nicht frieren oder um uns vor dem Regen zu schützen. Das fängt schon im Elternhaus an. Es gibt wenige Eltern, die mit ihren Kindern über modische Farben oder Kombinationen sprechen. Das zieht sich bis ins Erwachsenenalter. In Frankreich und Italien findet das viel stärker statt.

In über 300 Filialen bieten Sie mittlerweile auch Hörakustik an. Während Brillen ihren Imagewechsel durchlaufen haben, empfinden viele Menschen immer noch Scham, ein Hörgerät zu tragen. Wie begegnen Sie dem?
Die Stigmatisierung ist noch da. Gleichzeitig wird es für Menschen künftig immer einfacher, mit einem Rezept ein für sie passendes Hörsystem zu finden. Es gibt unheimlich viel Innovation, die es immer normaler macht, Kopfhörer im Ohr zu tragen. So hat Apple vor kurzem bekannt gegeben, seine Airpods, die kabellosen Kopfhörer, noch dieses Jahr zu Hörsystemen auszubauen. Träger können damit dann besser hören oder auch einen Hörtest machen.

An ihrer Hauptzielgruppe gehen solche Innovationen doch aber vorbei.
Die Käufer von Hörsystemen sind im Schnitt 70 oder lebenserfahrener und haben eine starke Hörminderung. Die brauchen professionelle Hörakustik, ja. Jüngere Menschen, die insgesamt noch gut hören, aber in einzelnen Situationen – etwa während eines lauten Abendessens – nicht mehr alles verstehen, werden Airpods zur Unterstützung nutzen. Wenn sie dann daran gewöhnt sind, ihre Hörleistung verbessern zu können, steigt auch die Offenheit, sich nach einem Hörsystem umzusehen, wenn sie für die optimale Hörleistung professionelle Hörakustik brauchen.

Es ist sehr sinnvoll, sich früh damit zu beschäftigen, auch wenn man gerade erst Unterstützung benötigt. Wenn man die Anschaffung eines Hörsystems zu lange hinauszögert, verlernt das Gehirn irgendwann, mit den neuronalen Impulsen umzugehen.

Fielmann wird also bald offizieller Händler für Apple-Kopfhörer?
Wir haben von Apples Ankündigung auch erst vor kurzem aus den Medien erfahren. Die Zulassung soll zunächst in den USA kommen. Wir setzen uns sehr intensiv mit diesem Produkt auseinander. Wenn es einen Vorteil für unsere Kunden hat, werden wir es anbieten.

Ihr Anfang des Jahres verstorbener Vater hat Fielmann aufgebaut und zum Brillen-Marktführer in Deutschland gemacht. Was würde er davon halten?
Seine Philosophie gilt für uns noch heute: Der Kunde bist Du. Wir helfen allen Menschen, die Schönheit der Welt zu hören und zu sehen. Es gibt tatsächlich noch sehr viele Regionen in der Welt, wo Menschen zu viel für ihre Brillen und Hörsysteme bezahlen und nicht den Service erhalten, den sie verdienen.

Günther Fielmann war einer der erfolgreichsten und vermögendsten Unternehmer dieses Landes. Wie hat sich das auf Ihr Leben ausgewirkt?
Ich habe meinen Vater sicherlich weniger gesehen als andere Kinder. Viele haben einen als „Sohn von“ gesehen, anders behandelt. Das ist als Kind erst mal nicht so toll, da man eher wie alle anderen sein und dazugehören möchte. Wenn ich einen Raum betreten habe, gab es eigentlich immer Menschen, die zu freundlich oder zu unfreundlich zu einem waren.

Wie gingen Sie damit um?
Meine Eltern haben mir früh klargemacht, ein besonderes Leben und viele Privilegien zu haben. Auch, dass damit eine Verpflichtung einhergeht. Es gab dadurch von früh an einen gewissen Druck, sich für andere einzusetzen, weil es einem selbst gut geht.

Als Sie fünf Jahre alt waren, soll Ihr Vater Ihnen in Ihr Poesiealbum geschrieben haben: „Wer ernten will, muss säen.“
Ja, das ist einer meiner Lieblingssätze von ihm.

Hat Ihnen der geholfen oder Sie unter Druck gesetzt?
Das hat mich enorm motiviert. Das hatte für mich etwas zutiefst Positives – man kann alles erreichen, wenn man sich anstrengt.

Mussten Sie als Kind viel Zeit in Fielmann-Filialen verbringen?
Bei uns war Familie und Unternehmen sehr eng miteinander verwoben. Natürlich wollte ich meinen Vater sehen und einer der besten Wege war, in die Firma zu gehen. Da hat er sich dann auch Zeit genommen. Als kleiner Junge haben meine Eltern mich eingepackt und wir sind zu Neueröffnungen von Niederlassungen gefahren oder haben uns Fabriken angesehen. Häufig sind zudem Lieferanten, Mitarbeitende oder Manager zum Abendessen zu uns gekommen.

War es denn klar, dass Sie Ihren Vater irgendwann einmal beerben?
Diese Möglichkeit war immer da. Wie jeder andere habe aber auch ich mich gefragt: Wäre es nicht besser, etwas anderes zu werden? Arzt oder Banker zum Beispiel.

Und warum sind Sie kein Banker geworden?
Als Banker können Sie viel Geld verdienen. Mir hat aber der direkte Kontakt mit dem Leben, zum Produkt gefehlt. Mit Brillen und Hörsystemen haben wir einen großen Einfluss auf das Wohlergehen von Menschen. Außerdem habe ich bei Fielmann für jeden Menschen ein tolles Angebot, unabhängig davon, wie groß der Geldbeutel ist. Und es gibt noch viel Potenzial, das Leben für viele Menschen besser zu machen. Das hat mich motiviert, als ich vor zwölf Jahren bei Fielmann angefangen habe, und tut es noch heute.

Sie stiegen im Alter von gerade einmal 23 Jahren bei Fielmann ein. Hatten Sie eine Wahl?
Jein. Natürlich hätte ich etwas anderes machen können. Das hätten meine Eltern akzeptiert. Gleichzeitig war mein Vater damals Mitte 70 und sich bewusst, dass er an der Spitze nicht ewig weitermachen kann. Es war damals klar: Wenn die Übergabe nicht plötzlich, sondern geregelt erfolgen soll, kann ich nicht noch weiter studieren, ins Ausland gehen oder woanders arbeiten. Letztlich haben wir acht Jahre zusammengearbeitet. Diese Zeit will ich auf keinen Fall missen.

Sie haben Fielmann für knapp zwei Jahre mit ihrem Vater zusammen geführt. Hat das gut funktioniert?
Hat es, auch wenn es natürlich kein Selbstläufer war. Mit seinen fast 80 Jahren verfügte er über eine enorme Lebenserfahrung. Ich sprudelte dagegen vor Innovation und neuen Ideen. Das führt zwangsläufig auch zu Reibereien, die wir aber nie nach außen getragen haben. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Zum Beispiel?
Wir hatten schon damals das Luxusproblem, zu viele Kunden bei zu wenig Augenoptikern und Hörakustikern zu haben. Dadurch kam es zwangsläufig zu langen Wartezeiten in Stoßzeiten. Die aus meiner Sicht offensichtliche Lösung war, Termine zu vergeben. Mein Vater sah das anders: Eine Situation wie auf dem Amt, inklusive Zettelziehen, war für ihn ausgeschlossen. Auch fürchtete er, dass es Konflikte geben könnte, wenn jemand mit Termin den Laden betritt und wie ein VIP an Kunden ohne Termin vorbeischreitet.

Wie haben Sie ihn umgestimmt?
Wir haben eine Software entwickeln lassen, eine Art digitales Zeitmanagement. Darüber konnte man online, telefonisch oder eben erst im Laden einen Termin buchen. In den Niederlassungen konnte man Kunden dadurch genau sagen, wann sie drankommen. Dadurch wurde niemand benachteiligt. Als mein Vater gesehen hat, wie gut es funktioniert, haben wir es flächendeckend ausgerollt.

Im Alter von 30 Jahren wurden Sie alleiniger Chef. Konnte Ihr Vater gut loslassen?
Ja, er hat mir nach seinem Ausstieg nie reingeredet. Es war immer klar, dass ich dann die Entscheidungshoheit habe. Gleichzeitig trug ich aber auch die volle Verantwortung. Die Feuertaufe kam dann auch schneller als gedacht.

Sie meinen die Corona-Pandemie.
Da habe ich erst wirklich die Bedeutung dessen begriffen, was es heißt, Unternehmer zu sein. Meine erste große Entscheidung war, alle Niederlassungen zu schließen, als sich das Coronavirus zu verbreiten begann und wir die Bilder der Särge in Italien sahen. Wir haben damals die Gehälter voll weitergezahlt und fünf Millionen Euro pro Woche verbrannt. Der Druck, die Niederlassungen wieder zu öffnen, wurde mit jeder Woche größer. Das hätten wir nur wenige Monate durchhalten können, sonst hätten wir schließen müssen. Gleichzeitig wollte ich natürlich weder die Gesundheit von Kunden noch die meiner Kolleginnen und Kollegen aufs Spiel setzen. Nach vier Wochen hatten wir ein Hygienegutachten und Millionen Masken, konnten so den Betrieb relativ schnell wieder hochfahren.

In dieser Zeit hat sich Ihr Vater komplett rausgehalten?
Ja, denn auch er hatte für eine solche Situation keinen Plan. Die Besorgung von Masken, die Entwicklung eines Hygienekonzepts – das alles war ja neu. Ich bin auch häufig in den Niederlassungen gewesen und habe alles selbst ausprobiert: Kann man Brillen mit dieser Art Handschuh anpassen? Wie stark schwitzt man, wenn man acht Stunden eine FFP2-Maske trägt? Wie fühlen sich die Kunden dabei? Dadurch hatte ich das nötige Selbstvertrauen und die Glaubwürdigkeit, viele weitreichende Entscheidungen eigenständig zu treffen. Da wusste ich, ich bin angekommen.

Während der durchschnittliche Deutsche viel mehr Geld für seine Gläser ausgibt als für die Fassung, ist es in Italien genau umgekehrt: Dort geht es mehr um die Erscheinung als um hochwertige Gläser.

© Alle Rechte vorbehalten. Der Tagesspiegel. Interview: Felix Kiefer. Foto: Julia Sang Nguyen

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