Oliver Schade und Hanna-Lotte Mikuteit
Hamburg. Es ist kein gewöhnliches Gespräch, welches das Abendblatt mit Marc Fielmann (34) an diesem Vormittag führt. Erst im Januar ist sein Vater und Unternehmensgründer Günther Fielmann gestorben. Offen spricht Marc Fielmann nun über seine Gefühle, das Vermächtnis seines Vaters und warum für ihn Toleranz so eine große Bedeutung hat. Aber auch ins Geschäftliche gibt er spannende Einblicke. Zum Beispiel, warum die Optikerkette schon viele Menschen vor der Erblindung bewahren konnte.
Herr Fielmann, Ihr Vater ist im Januar gestorben. Wie tief war der Einschnitt für Sie persönlich?
Marc Fielmann: Das war ein einschneidender Moment in meinem Leben. Ich war sehr traurig. Auf dieses Gefühl der Trauer kann man sich nicht vorbereiten. Sehr viel Trost hat mir die große Anteilnahme der vielen Kolleginnen und Kollegen in unserem Familienunternehmen gegeben. Da war ich total baff. Wir hatten eine unglaublich würdige Abschiedsfeier, die ohne so viele tolle Menschen gar nicht möglich gewesen wäre. Das hat mich sehr entlastet und dafür sind meine Familie und ich sehr dankbar.
Hatten Sie eine besonders enge Beziehung zu Ihrem Vater?
Ja, natürlich!
Wir wären gut beraten, wenn wir in Deutschland zu einem toleranten Diskurs zurückfänden.
Was ist das private und was das geschäftliche Vermächtnis Ihres Vaters für Sie?
Wenn man es auf das Unternehmen herunterbricht, dann sind es unsere Philosophie und unsere Werte, die er vorgelebt hat. Dazu zähle ich zum Beispiel die Kundenorientierung. Aber auch andere Dinge. Ich habe ihn häufig gefragt: Was kann schiefgehen? Was kann ich falsch machen? Und er hat dann zum Beispiel geantwortet: Es wäre ein Fehler, wenn du die Preise erhöhen würdest, um kurzfristig Geld zu verdienen. Die Preisführerschaft ist ganz wichtig für uns. Privat war ihm wichtig, dass man die eigene Position nicht nur als Privileg versteht, sondern auch als Verpflichtung, sich für andere einzusetzen. Er hat mir immer wieder gesagt, dass ich tolerant und offen für andere Menschen, andere Meinungen sein soll. Und genau diese Toleranz geht leider in unserer heutigen Gesellschaft immer mehr verloren. Und zwar in der gesamten westlichen Welt – das bereitet mir große Sorgen. Wir müssen wieder Toleranz lernen.
… auch in Deutschland?
Definitiv.
Wohin kann diese Entwicklung der Intoleranz führen?
Ich habe das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen nur noch in ihrer Blase aufhalten und sich dort für ihre eigene Meinung Bestätigung holen wollen. Deshalb habe ich einen Riesenrespekt vor Journalisten und Verlagshäusern, die Themen von allen Seiten beleuchten, die die Bandbreite der Meinungen in der Bevölkerung widerspiegeln. Und ich habe Riesenrespekt vor Menschen, die in ihrer Blase auch unangenehme Wahrheiten kundtun und für das Grundprinzip der Toleranz einstehen.
Bereitet Ihnen der Rechtsruck hierzulande, der auch ein Zeichen von Intoleranz ist, Sorgen?
Wir wären gut beraten, wenn wir in Deutschland zu einem toleranten Diskurs zurückfänden. Und die Politik sollte endlich die Themen, die den Menschen wichtig sind, anpacken, egal wer sie besetzt: ob Rechte, Linke, Konservative oder Progressive. Es müssen Probleme gelöst werden. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Einwanderung von Fachkräften. Hier ersticken wir in Bürokratie, weil zu viele politische Ebenen und Verwaltungsstellen mitentscheiden wollen. Hier brauchen wir endlich eine grundlegende Regelung, die dazu führt, dass die Einwanderung von Fachkräften schnell und einfach funktioniert. Denn die deutsche Wirtschaft und auch wir als Fielmann-Gruppe brauchen diese Menschen dringend.
Zugleich gibt es immer mehr Menschen, die sagen: Das Boot ist voll. Müssten Sie sich als Wirtschaftschef nicht gerade jetzt klar positionieren, dass wir ein Stopp-Schild für rechte Bewegungen brauchen?
Wir brauchen Toleranz, und wir brauchen Fachkräfte-Einwanderung, um unsere demografischen Herausforderungen zu meistern. Das Problem ist, dass die Debatte in Deutschland immer gleich ins Extreme geht: extrem links oder extrem rechts. Das ist der Grund, weshalb sich viele Menschen nicht öffentlich äußern wollen. Ich bin da auch zurückhaltend. Wichtig ist mir, dass wir endlich wieder darüber reden, warum wir etwas tun. Und wir müssen uns verabschieden von dem riesigen bürokratischen Regelwerk, das wir in Deutschland geschaffen haben.
Noch eine Nachfrage zum Tod Ihres Vaters. Aus unserer Wahrnehmung hat Hamburg sich sehr zurückgehalten bei der Ehrung des Lebenswerks von Günther Fielmann. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Nur so viel dazu: Meine Familie und ich fühlen uns in Schleswig-Holstein willkommen und zu Hause.
Wechseln wir das Thema: Fielmann zieht 2025 nach 37 Jahren mit der Zentrale um, nach Barmbek-Nord. Gehört Ihr Unternehmen nicht eher in die Innenstadt, zum Beispiel ins Deutschlandhaus oder in die HafenCity?
Der neue Standort in der Fuhlsbüttler Straße ist das, wofür wir stehen: ein typisches deutsches Stadtteilzentrum mit Geschäften und Gastronomie, bodenständig, nah an den Menschen. Das passt zu unserer Haltung: sozial, demokratisch, kundenorientiert. Auch die Wohnorte unserer 1400 Beschäftigten nahe der Zentrale und eine attraktive Verkehrsanbindung haben für die Entscheidung eine Rolle gespielt.
Im vergangenen Jahr hat Fielmann ein deutliches Plus bei Umsatz und Nachsteuergewinn erwirtschaftet. Aber wenn man es mit dem Gewinn vom Vor-Corona-Jahr 2019 vergleicht, ist da doch noch eine Lücke. Warum?
Wir sind in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Im Rahmen der Vision 2025 war es das Ziel, den Wachstumsmotor unseres Familienunternehmens wieder anzuwerfen. Das ist uns gelungen. Wir sind weit über unsere Pläne gewachsen, trotz Corona und Ukraine-Krieg. Inzwischen haben wir nach einem Tiefpunkt Anfang 2023 den Turnaround bei der operativen Ergebnis-Marge geschafft. Auch im ersten Halbjahr 2024 haben wir diese nochmals deutlich verbessert. Und wir sind optimistisch, dass sie sich auch im Gesamtjahr und 2025 verbessern wird.
Ein Indikator, an dem der Erfolg gemessen wird, ist der Börsenkurs. 2020 stand die Aktie bei über 70 Euro, aktuell bei gut 40 Euro. Können Sie Hoffnung machen, dass es beim Kurs wieder nach oben geht?
Ich kann definitiv Hoffnung machen, dass der Kurs steigt. Der Kapitalmarkt schaut vor allem auf die Ergebnisse. Und die sind im ersten Halbjahr deutlich besser, für das Gesamtjahr rechnen wir in Europa mit zwei Prozentpunkten Margenzuwachs. Weiteres Wachstum versprechen wir uns vor allem in den USA, wo wir ja gerade mit Shopko Optical zugekauft haben.
Um das Ergebnis zu verbessern, hatte Fielmann 2023 zum ersten Mal in seiner Geschichte den Abbau von Personal angekündigt. Wie viele Jobs sind weggefallen?
Das ist ein Umbauprozess, weil sich Arbeitsbereiche ändern. Wir haben in der Zentrale rund 60 Stellen sozialverträglich abgebaut. Aber das bedeutet nicht in jedem Fall, dass Menschen das Unternehmen im Rahmen eines Freiwilligenprogramms verlassen haben. Es sind auch neue Jobs entstanden. Insgesamt haben wir massiv aufgebaut und haben aktuell mehr als 1000 offene Stellen.
Was sind das für Arbeitsplätze?
Vor allem Augenoptiker und Hörakustiker. Und ich würde auch sofort 50 bis 100 Software-Entwickler in der Zentrale in Hamburg einstellen. Wir finden sie hier allerdings nicht und können sie nur mit immens großen Schwierigkeiten aus dem Ausland nach Deutschland holen. Deshalb stellen wir sie an anderen Standorten in Europa ein.
Wo ist es einfacher?
Das kommunizieren wir, wenn es so weit ist. Aber wichtig ist mir zu betonen: Es liegt nicht daran, dass wir Kosten sparen wollen. Es hat viel mit Bürokratie und Auflagen zu tun. Fielmann hat neben Deutschland heute schon IT-Teams in Spanien, Polen, Kanada und den Vereinigten Staaten.
Wenn wir über Fielmann als internationales Unternehmen sprechen. Sind für 2025 weitere Zukäufe geplant?
Wir sind in den vergangenen Jahren in viele Märkte expandiert. Unser Fokus liegt jetzt darauf, dort zu wachsen. Großes Potenzial gibt es in Osteuropa, in Spanien und besonders in den USA.
Und wie sieht es in Deutschland aus?
In Deutschland haben wir schon eine sehr starke Marktposition, aber wir können über die Hörakustik weiterwachsen. Wir werden aber in diesem Jahr auch im deutschsprachigen Raum zehn weitere Niederlassungen eröffnen. Zudem erweitern wir Flächen oder ziehen um. In Hamburg haben wir derzeit keine Pläne für neue Niederlassungen, aber im Umland. Wir prüfen etwa sieben Standorte unter anderem in Syke in Niedersachsen und in Waren an der Müritz.
Seit einiger Zeit bietet Fielmann einen medizinischen Augen-Check-up an. Warum machen Sie das und legen sich dafür mit Augenärzten an?
Anlegen? Ich sehe eher viel Zuspruch, sowohl von Kunden als auch von Augenärzten. Wir fangen gerade erst an und haben inzwischen mehr als 50.000 Menschen, die den Service genutzt haben. Aktuell gibt es das Angebot in mehr als 250 Niederlassungen in Deutschland und an rund 30 Standorten in der Schweiz.
Was genau umfasst der Check-up?
Den kostenlosen Sehtest haben wir schon immer angeboten. Optional, für einen Aufpreis von 49 Euro, werden zusätzliche Messungen mit Hightech-Geräten durchgeführt. Dabei handelt es sich um den Augeninnendruck und Bilder vom Augenhintergrund. Diese werden in Kooperation mit dem Start-up Ocumeda an Augenärzte übermittelt, die die Daten online begutachten und eine Rückmeldung geben. Grün bedeutet: Alles okay. Rot: Bitte, sofort in ärztliche Behandlung begeben, weil Schlaganfall, Erblindung oder der Verlust von Sehkraft drohen.
Wie viele Auffälligkeiten wurden festgestellt?
Von den 50.000 Untersuchungen gab es bei mehr als 10.000 eine Auffälligkeit. Das sind knapp 20 Prozent. Man kann sagen, wir haben schon Dutzende von Kunden vor Erblindung bewahrt. Das ist das, was mich als Unternehmer begeistert. Wir machen einen Unterschied im Leben von Menschen und helfen Gesundheit zu erhalten. Damit können wir auch die Folgekosten für das Gesundheitssystem massiv reduzieren.
Könnte der Augen-Check-up bei Fielmann eine ähnliche Revolution in der Branche sein wie damals die Kassenbrille ohne Zuzahlung Ihres Vaters?
Definitiv, aber mit weniger Verlierern.
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